Werte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Arbeit in der Bundesregierung! Ich engagiere mich in einer Initiative namens Klimawandelberatung, und gerne versuchen wir mit unseren Mitteln, den sozialverträglichen Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft – und damit auch Ihre Bemühungen – zu unterstützen.
Nach meinen Informationen aus Wissenschaft, Literatur und Presse sind gigantische Anstrengungen nötig, um die Klimakatastrophe zu verhindern und sowohl unbezahlbare Folgekosten als auch Beschädigungen der Demokratie abzuwenden. Im Pariser Übereinkommen haben Sie als Regierung bereits zugesagt, dieser Aufgabe nachzukommen, das Bundesverfassungsgericht hat dem Klimaschutz Verfassungsrang eingeräumt. Die jüngsten Aussagen des IPCC – also der Wissenschaft – verlangen sofortige und gravierende Emissionssenkungen in allen Bereichen – sonst ist es unmöglich, die Erwärmung des Weltklimas auf 1,5° C zu begrenzen, mit den bekannten katastrophalen Folgen. Der Expertenrat Ihrer Regierung spricht ganz konkret von einem notwendigen Paradigmenwechsel. Ratsmitglied Dr. Thomas Heimer sagte im November 2022: „Die jährlich erzielte Minderungsmenge müsste sich im Vergleich zur historischen Entwicklung der letzten 10 Jahre mehr als verdoppeln. Im Industriesektor wäre etwa eine 10-fache und bei Verkehr sogar eine 14-fache Erhöhung der durchschnittlichen Minderungsmenge pro Jahr notwendig.“
Den Publikationen der Bundesregierung kann ich allerdings nur sehr vorsichtige Pläne zu einer Veränderung Deutschlands entnehmen. Nach den jüngsten Verhandlungen in der Koalition wurden sogar weitere Straßenbauten beschlossen. Das irritiert mich. Müssen wir nicht sofort sehr drastische Maßnahmen einleiten, um besagter Katastrophe zu begegnen? Sicherlich ist Ihnen klar, dass die Standortsicherheit für die deutsche Industrie oder ein reibungsloser Autobahnverkehrsablauf auch nichts mehr nützt, wenn unsere Biosphäre irreversibel beschädigt bzw. für menschliches Leben deutlich inkompatibler wird.
Nun kann ich verstehen, dass Politik umsichtig agieren muss und vermeidet, die Bevölkerung und die Wirtschaft mit unbequemen Regulierungen zu bevormunden. Andererseits hat sie den verfassungsmäßigen Auftrag – und auch in die Zusammensetzung der aktuell gewählten Regierung kann dieser Auftrag interpretiert werden – besagte Katastrophe zu verhindern. Soweit ich das beurteilen kann (und ich halte mich da an die wissenschaftlichen Studien) ist die Erderwärmung mit ihren Folgen (incl. Massenaussterben, Zerstörung von Lebensgrundlagen für hunderte von Millionen Menschen, Kriege um Wasser und andere Ressourcen) die bei Weitem wichtigste Aufgabe Ihrer Regierung. Vor diesem Hintergrund halte ich es für geboten, dass Sie klar kommunizieren, wie sie die Klimaziele mit den jetzt praktizierten Mitteln erreichen werden. Die mir zugänglichen Quellen suggerieren, dass eine Elektrifizierung von Verkehr und Treibstoffherstellung, eine Reduktion der Emissionen beim Bauen und Wohnen, eine Veränderung der Landwirtschaft usw. (alles ohne zusätzlich verursachte Emissionen oder Umweltschäden in anderen Teilen der Welt) niemals in der gebotenen Zeit realisierbar ist. Mir scheint – und hier freue ich mich sehr über Ihre Einschätzung – dass der vom Expertenrat angesprochene Paradigmenwechsel weit über das hinausgeht, was derzeit an Plänen in der deutschen Politik diskutiert wird.
Glücklicherweise gibt es reichlich Beispiele, Erfahrungen und Literatur dazu, dass auch eine drastische Veränderung „fossiler“ Gewohnheiten möglich ist und sogar positive Nebenwirkungen in Bezug auf körperliches und psychisches Wohlbefinden, soziales Miteinander und sinnerfüllte Ökonomie haben kann. Es gibt viele Orte und Gruppen in der Welt, die bereits ahnen lassen, wie ein nachhaltiges Leben aussehen kann. Was „nachhaltiges Leben“ für unser ganzes Land aber konkret bedeutet, das muss m.E. noch erarbeitet werden. Hier finde ich eine schmerzhafte Lücke zwischen versprochenen, geplanten oder als nötig deklarierten „Veränderungen“ und den „Zielen“, die vor allem in Zahlen wie „Emissionsminderungsmengen“ ausgedrückt werden. Was bedeuten diese Zahlen; wohin führen uns diese Veränderungen?
Unsere vorgeschlagene Herangehensweise ist an dieser Stelle, Szenarien zu formulieren, die die tatsächlich notwendigen – und laut Wissenschaft immer noch erreichbaren – Ziele integrieren und uns allen – Ihnen, der Bevölkerung, der Wirtschaft – Anhaltspunkte dafür geben, worauf wir uns vorbereiten müssen und dürfen. Es gibt hier offensichtlich noch keine detaillierten Prognosen, aber der transparente Umgang mit Unsicherheiten birgt ein großes Potenzial für gesellschaftliche Solidarität und neues Vertrauen in „die Politik“. Wir sehen auch keine Alternative zum gemeinsamen Forschen danach, wohin wir eigentlich reisen, wenn wir diese Reise wirklich antreten wollen. Und der Aufbruch ist ja erwiesenermaßen nötig.
Im Moment steht also für uns das Sammeln von möglichen Szenarien im Mittelpunkt, die ein nachhaltiges Leben versprechen. Voraussichtlich werden wir da sehr verschiedene Visionen dokumentieren. Wenn wir genügend Informationen gesammelt haben, können wir die Methode der Klimawandelberatung anwenden, um den gesellschaftlichen Wandel zu erleichtern und zu begleiten – dazu mehr auf unserer Website.
Ich wünsche mir sehr, dass Sie unsere Initiative wirklich als Unterstützung sehen können und unsere Einschätzung von der Wichtigkeit aufgreifen, die ein umfassendes Narrativ von unserer nachhaltigen Zukunft hat. Ich möchte Sie dazu anregen, Ihre Ressourcen dafür zu verwenden, Geschichten vom nachhaltigen, gerechten und immer noch angenehm bewohnbaren Deutschland der Zukunft entwickeln zu lassen und zu verbreiten. Dafür bieten wir unsere Hilfe an. Im Kern ist unsere wichtige Idee einfach, eine Lücke zu schließen zwischen politischer Notwendigkeit und Rückhalt in der Bevölkerung (den andere Ratgeber vielleicht zu oft voraussetzen). Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung. Mit freundlichen und solidarischen Grüßen
Michael Würfel
Klimawandelberatung.de
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