Berate Karl

„Das ist ja nicht gewollt“ oder: Take this, ihr da oben!

Das Ziel des Projekts „Klimawandelberatung“ ist, auf die riesige Diskrepanz hinzuweisen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Klimakatastrophe und dem erklärten Willen zum Klimaschutz der Regierungen der Welt – und der Lebensrealität der Menschen, die eine nachhaltige Kultur ja letztlich umsetzen müssen oder dürfen.1

Natürlich sind es auch diese Menschen, die davon profitieren, wenn die schlimmste denkbare Klimakatastrophe abgewendet wird – aber so denken, handeln und wählen viele Menschen nicht. Die Gefahr besteht, dass Klimaschutz letztlich von den Bürger*innen nicht unterstützt wird, weil vermeintliche Einschränkungen des Lebensstils nicht akzeptiert werden. Obwohl vielmehr nötig wäre, dass Bürger*innen treibende Kraft für Klimaschutz sind und die Politik zum Handeln zwingen. Natürlich gibt es einen starken Willen zum Wandel auch in Teilen der Bevölkerung, aber viele andere wollen davon nichts wissen und wählen sogar Parteien, die natürliche Zusammenhänge entweder selbst nicht verstehen wollen, oder (wahrscheinlicher) für Wählerstimmen jeden beliebigen Blödsinn nachplappern würden und sich als Alternative zum etablierten Politikbetrieb erklären. Nebenerkenntnis: Absurderweise spielen die Social-Media-Produkte vermeintlich fortschrittlicher Tech-Unternehmen, die seriöse Unternehmerschaft, die den Konsumenten zwangläufig das bietet, was diese zu bezahlen bereit sind und die liberale Kultur, auf die wir stolz sind, in der aber beliebiger Unsinn verbreitet werden darf, dieser reaktionären Bewegung in die Hände – siehe unten.

Ich durfte vor Kurzem persönlich das Anmeldungsformular zur Klimawandelberatung mit jemandem durchgehen, der zur oben beschriebenen Klientel gehört, die ich nicht gerade als „wandelwillig“ bezeichnen würde („not embracing change“, würde ich wohl auf englisch schreiben). Das ausgefüllte Formular habe ich anonymisiert hier hochgeladen.

Der Kandidat „Karl“ (Name geändert) bezeichnet sich selbst als bescheiden und „extrem nachhaltig“. Seine Antworten summieren sich aber zu einem ökologischen Fußabdruck von 7,3 gha, deutscher Durchschnitt sind 4,7 gha – obwohl er keine Fernreisen angegeben hat und mit seinem Leben auf dem Land einen gewissen Teil von Selbstversorgung betreibt (der im Fragebogen evtl. nicht angemessen abgebildet werden kann). Beruflich fährt er halt sehr viel Auto und er braucht Fleisch als Nahrung. Sein altes Haus mit vielen Nebengebäuden führt zu hohem Flächenverbrauch und hohen Heizkosten. Das Schwierigste finde ich die Kommunikationskomponente, der ich im Interview auch permanent zum Opfer geworden bin. Karl weiß, wie die Welt funktioniert – grundsätzlich besser als andere. Das ist gewissermaßen seine Grundlebensprämisse. Ganz abgesehen von den inhaltlichen Daten braucht es einen Umgang damit, solchen Menschen klimapolitische Notwendigkeiten auseinanderzusetzen. Das gelingt aktuell zu ungefähr 0%.

Ein paar Auszüge aus dem Interview mit Karl.

Busfahren ist für ihn unakzeptabel

Eine Reduzierung des Fleischkonsums kommt nicht in Frage

Langlebigere Produkte findet er unbedingt gut

Die Frage: „Haben Sie Verständnis für Maßnahmen (Gesetze), die unseren Lebensstil zu Gunsten größerer Nachhaltigkeit einschränken?“ wurde mit einem entschiedenen „nein“ beantwortet (eine folgender dreiminütiger Vortrag über unverhältnismäßige Lastverteilung zu Ungunsten von Arbeitnehmenden wurde herausgeschnitten)

Am Verblüffendsten/Faszinierendsten (und wer kann beurteilen, wie extrem und selten das ist?): Während Karl konventionellen Medien wenig Glauben schenkt, hat er auf TikTok/YouTube Videos entdeckt, in denen mit Neodym-Magneten freie Energie in Bewegung oder Beleuchtung umgewandelt wird:

Ich gehe mit der Präsentation dieses Interviews in eine Sommerpause. Aber ich möchte schon gerne wissen, liebe Fachleute, wie wir Karl als Mitstreiter für den Wandel zur Nachhaltigkeit gewinnen können.

Michael Würfel

1Ja, liebe Aktivistikolleg*innen, ist mir schon bewusst, dass sich das nach einer Umkehrung der Verhältnisse anhört. Aber nach dem Interview mit Karl kommt einem so eine Bundesregierung schon enorm progressiv vor…

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