In eigener Sache: Expert*innenteams

Letzte Woche habe ich dann mal einen Newsletter rausgeschickt an 5600 Empfänger*innen aus meinem Adressbuch. Nicht besonders zielgerichtet, ein Versuch eben, die Idee Klimawandelberatung zu verorten, zu teilen, zu öffnen, Resonanz zu bekommen. Im Prinzip einfach ein Hinweis auf die Seite und die Bitte um ein bisschen Feedback.

Was nicht passiert ist: Begeisterung. Zwar haben laut Statistik bis heute 1524 Leute die Mail geöffnet, aber es gab nur wenige Kommentare und Anmeldungen für den eigenen KWB-Newsletter. Außerdem haben einige Empfänger*innen die Gelegenheit genutzt, mir von ihrer ganz eigenen Paranoia zu erzählen („die Eliten!!!“ sind das Problem), sich übers Gendern aufzuregen (kleiner Hinweis von einem, der täglich mit Sprache zu tun hat: Man kann sich auch einfach dran gewöhnen) und dann hab ich noch so ne Art Hassmail bekommen – von einer Frau, die irgendwo im Nirgendwo ein winziges Ausflugslokal betreibt (mit besten Google-Bewertungen für ihre selbstgebackenen Kuchen – natürlich verkneife ich mir die Weitergabe der Adresse und eine bittere Rezension habe ich auch nicht hinterlassen). Mir schreibt sie (meint damit wohl Klimaaktivisten allgemein, möglicherweise auch speziell die von der Letzten Generation): „genießt Eure letzten Sojalattes, ehe wir Arbeitenden Euch den Schmarotzergeldhahn zudrehen und werdet erwachsen, übernehmt Verantwortung! Wir schämen uns für diese Generation unserer Kinder.“

Das hat mich schon ganz schön runtergezogen. Wie Unglück, Angst und Fehlinformation einfach projiziert werden auf irgendwen anderes. Das können Menschen viel zu gut.

Aber, einatmen, ausatmen. Die Klimawandelberatung muss niemanden überzeugen, und niemand muss hingehen, wenn sie denn dann angeboten wird. Wer sich lieber selbst auf den Wandel vorbereiten mag, spart uns wertvolle Zeit, verliert aber natürlich (tja, das Kleingedruckte) auch die Ansprüche auf weitere Hilfen bei der Anpassung auf die nachhaltige Gesellschaft.

Leider können wir noch keine Expert*innenteams präsentieren und Klimawandelberatungstermine anbieten. Denn ich finde bislang niemanden, der offensichtlich eine Ahnung davon hat, wie unsere Zukunft aussehen wird. Ich befürchte, ich muss Leute überreden, sich diese Rolle zuzutrauen und zumindest mal unverbindlich Prognosen dafür abzugeben, wie sich Leben ändern werden und wie die Menschen dabei unterstützt werden können.

Ein bisschen skurril: Ich lebe ja im Ökodorf ein ziemlich nachhaltiges Leben, und bei der Entwicklung dieses Lebens haben uns keinerlei dezidierte Expert*innen beraten. Sind meine Mitbewohnenden vielleicht schon die Expert*innen, die ich suche, sind unsere Infowochenenden schon eine Form von Klimawandelberatung? Ich habe ja immer geschrieben, dass ich auch nicht weiß, was die Zukunft bringt, und ich maße mir auch nicht an, unser Gemeinschaftsleben als universelle Lösung anzupreisen – aber ich habe mir von Anfang an vorgestellt, dass es verschiedene Szenarien und verschiedene Beratungsteams geben wird. Und das Leben im Ökodorf Sieben Linden mit seinem erwiesenen kleinen Fußabdruck (hier Infos und der Link zur Studie, die uns 2014 einen Fußabdruck von 1/3 bescheinigt hat) kann ja eins dieser Szenarien sein. Großer Vorteil, ja Alleinstellungsmerkmal: Es existiert schon. Insofern wäre es auch nicht schwer, für dieses Szenario ein Expert*innenteam zusammenzustellen. Vielleicht wird das ja der Anfang.

Ich habe nach dem Interview (Beitrag Klimaschutz konkret) nochmal mit Frau Zell-Ziegler telefoniert und konkret über die Situation gesprochen, in der sich Expert*innen, bevor sie als Team eine Beratung geben können, auf Szenarien einigen müssen. Die ist wirklich hochspannend und herausfordernd, und ob das überhaupt klappen kann, ist ja gar nicht klar. Denn natürlich sind sich Menschen bei so was wie möglichen Zukunftsszenarien (die eben noch nicht real existieren) niemals einig. Aber können sie sich so weit verständigen, dass einigermaßen stringente und sinnvolle Handlungsempfehlungen für eine Beratung dabei herauskommen können? Das ist eine Frage, die weit über meine Selbstreflexion hinausgeht, denn wir müssen uns ja unbedingt politisch und gesellschaftlich auf irgendwas einigen. Deshalb möchte ich diese Situation auch unbedingt dokumentieren und veröffentlichen – als Beitrag zu dieser Debatte darüber, wo wir eigentlich hinwollen und wie wir da hinkommen.

Vorteil daran, dass es unter den Expert*innen sicherlich unterschiedliche Vorstellungen geben wird ist natürlich, dass die ganze Unsicherheit und Ambivalenz schon in der Beratung Thema ist und die Berateten nicht erst danach damit konfrontiert werden, dass es da große Unsicherheiten gibt. Das habe ich ja auch schon ganz am Anfang auf das Werbeplakat oben auf der Website geschrieben: „Wir machen uns zusammen auf den Weg und sammeln dabei Erfahrungen und Ideen“. Diesen Geist braucht es doch in der Gesellschaft: Wir wissen nicht genau, wie es wird, was wir noch erreichen können und wie schlimm es überhaupt würde, wenn wir jetzt nichts tun – aber wir sind doch nicht blöd und fahren mit Vollgas an die Wand. Oder, wie es Herr Reimers (langer Kommentar auf der Seite „Deine Vision“) auf seiner eigenen Website (ich übernehme keine Gewähr oder Empfehlung für externe Links!) schreibt  „Kein verantwortlicher Seemann hätte es gewagt, bei Aufzug eines Unwetters alle Segel stehen zu lassen. Aber genau das macht gerade die Menschheit in Bezug auf den Klimawandel.“

Also – Expert*innen zusammenbringen, als nächsten Schritt. Hm, wird mir das gelingen? Ist die Klimawandelberatung; bin ich ernst genug zu nehmen, dass ein vielbeschäftigter Mensch sich dafür Zeit nimmt? Ich bleibe optimistisch. Expert*innen dürfen ihre Kolleg*innen fragen. Verschiedene Expert*innenteams aus verschiedenen Blasen, und dann treten wir einen Schritt zurück und schauen uns an, was bei diesen Beratungen rauskommt.

Übrigens hat Frau Zell-Ziegler gemeint, statt Beratung könnte ja auch einfach jede*m „Bürger*in“ (siehe Fußnote) ein CO2-Budget zugewiesen bekommen, dann könnte ersie selbst entscheiden, was ersie damit anstellt. Aber da würde wieder diese Komponente des Austauschs fehlen. Vielleicht ist ein CO2-Budget ja auch das Werkzeug der Wahl einer Expert*innengruppe – das bleibt diesen Gruppen ja selbst überlassen, was sie empfehlen, um sich gut an die Vorgaben eines nachhaltigen Lebens anzupassen. Die Reimers-Gruppe (s.o.) empfiehlt die Umsiedlung auf frei schwimmende hufeisenförmige Energieinseln oder auf die Umschulung zum Universal-Baupraktiker, die Ökodorf-Gruppe empfiehlt gemeinschaftliches Leben in Selbstverwaltung, Frau Zell-Ziegler und Kolleg*innen sind mit den Suffizienzideen auch nicht weit entfernt – was empfehlen die anderen?

Fußnote zu „Bürger*in“: Ich krieg das fast nur in Anführungsstrichen „über die Lippen“ – aber „Verbraucher*in“ ist doch noch blöder, um uns Mitglieder der Gesellschaft zu beschreiben, oder? Aber „Bewohner*in“ ist zu sehr aufs Wohnen gerichtet, „Mensch“ unterscheidet die „Bürger*innen“ zu wenig von denen, die sich intensiver mit Zukunftsszenarien beschäftigt haben und die ich hier „Expert*innen“ nenne.

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