Klimaschutz konkret: Von der Studie zum Menschen oder: Harte Regulierung kann Verbraucher schützen

Foto © 2023 Öko-Institut e.V.

Interview mit Frau Carina Zell-Ziegler vom Öko-Institut, Mitautorin des „Klimaschutzszenario 2050“ sowie von „Klimaverträglich Leben im Jahr 2050“. Geführt von Michael Würfel am 8. Mai 2023.

Liebe Frau Zell-Ziegler, Sie haben am „Klimaschutzszenario 2050“ von Öko-Institut und Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung für das Bundesumweltministerium mitgewirkt. Es gibt weitere Studien, die in verschiedenen Szenarien versuchen, mögliche nachhaltige „Zukünfte“ zu umreißen. Da kommen schnell viele Zahlen und Fachausdrücke zusammen und als Laie wünsche ich mir, dass das bitte hoffentlich so umgesetzt wird. Andererseits sind das hunderte Seiten anspruchsvoller Texte. Lesen Politiker*innen so was?

Genau, das Klimaschutzszenario 2050 war eine Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums, von daher hatten wir mit dem Referat, das die Studie in Auftrag gegeben hat, Austausch. Und wahrscheinlich beschränkt sich die Verbreitung einer so komplexen Studie auch hauptsächlich auf das Fachreferat, das die Ergebnisse innerhalb des Ministeriums weitertragen soll, und einen kleinen Fachkreis. Da wir im Öko-Institut auch das Gefühl hatten, dass es hohe Hürden hat, dieses Dokument zu lesen, haben wir 2017 mit Eigenmitteln versucht, die Ergebnisse so weit aufzubereiten, dass sie an die Lebenswirklichkeit der Menschen anknüpfen, indem wir diese visualisiert und den Text einfacher zu greifen gemacht haben („Klimaverträglich Leben im Jahr 2050“). Es ist aus meiner Sicht schade, dass solche sehr spannenden und wichtigen Studien auf Grund ihrer Länge, Komplexität und Datenlastigkeit oft schwer zugänglich für die Bevölkerung sind.

Mit Ihrer zusätzlichen Veröffentlichung 2017 haben Sie versucht, die Ergebnisse aus der Modellierung „auf die Lebenswelt der Menschen herunterzubrechen“. Wie konkret kann das denn werden? Ich wüsste ja gern, was sich am Leben einzelner Menschen möglicherweise verändert. Welche Berufe z.B. in wenigen Jahren keine Zukunft mehr haben.

Der Fokus unserer „Erklärstudie“ war eng gefasst, denn wir haben genau die Ergebnisse dieser einen Studie aus 2015 als Grundlage genommen: Wie können die Treibhausgasemissionen in den verschiedenen Sektoren so weit reduziert werden, dass wir in Deutschland unsere Klimaziele erreichen. In der Studie gibt es zwar ein Kapitel zu gesamtwirtschaftlichen Effekten, jedoch keine tiefergreifende Analyse für einzelne Berufe oder Sektoren, wo es bspw. um Themen wie Exnovation geht, also den geordneten (Teil-)Ausstieg aus z.B. der (fossilen) Automobilproduktion. Das wären bzw. sind dann nochmal Extra-Studien, die sich solche Teilaspekte genauer anschauen.

Was ich gerne noch betonen würde, ist, dass das „Klimaschutzszenario 2050“ vor acht Jahren veröffentlicht wurde und daher die mittlerweile verschärften Klimaziele noch nicht abbildet (damals 95% Emissionsrückgang bis 2050, aktuell Netto-Null-Emissionen bis 2045). Es bildet auch keine große Transformation der Gesellschaft ab und ist wenig ambitioniert im Bereich von Verhaltensänderung oder Suffizienz. Da sind aktuellere Zukunftsszenarien deutlich weiter.

Macht das einen Unterschied? Auch die Schritte, die in der Studie von 2015 dringend gefordert wurden, werden von der Politik nur zögerlich umgesetzt – oder haben Sie einen anderen Eindruck?

Die Evaluationen und Berichte der diversen Kommissionen zeigen, dass die Sektoren sehr unterschiedlich abschneiden. Vor allem die Sektoren Verkehr und Gebäude erreichten zuletzt ihre Ziele nicht. Aber auch insgesamt sind wir leider nicht „on track“, denn die Emissionsreduktionen sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien sind zu langsam.

Hinzu kommt, dass die Nachfrage-/Verbraucherseite in Deutschland zu spärlich beleuchtet wird: Wie können wir die Infrastruktur und Rahmenbedingungen so gestalten, dass der Energieverbrauch strukturell gesenkt wird? Bislang wird das sehr von der Produktionsseite aus gedacht: Was muss in der Energie- und Industrieproduktion passieren? Aber dass die Nachfrage das Angebot und die Produktion bestimmt und einen sehr wichtigen Anteil hat, wird bislang wenig angegangen. Glücklicherweise gibt es mittlerweile immer mehr Studien, die sagen: „Ihr müsst da mehr ansetzen“, zum Beispiel vom Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung. In die Politik sind diese Ideen aber leider noch nicht vorgedrungen.

Bleiben wir noch kurz bei der technischen Seite: Meinen Sie, dass diese einigermaßen realistisch ist? 7-8 Mal so viele Windkraft- und PV-Anlagen, das kommt mir viel vor. Ist das möglich?

Ausbaumengen bis zu dieser Größenordnung brauchen wir laut Studienlage tatsächlich, wenn wir alles elektrifizieren und dann mit „grünem Strom“ unsere Emissionen minimieren wollen. Ich glaube, dass dies sehr schwierig zu erreichen sein wird, wenn wir so weiter machen wie bisher und Energie als ständig verfügbare und günstige Ressource ansehen. Im neuen Buch von Ulrike Herrmann („Das Ende des Kapitalismus“) wird das verdeutlicht. Sie sagt: Wenn wir unseren Energiehunger nicht zurückfahren, dann rennen wir ja mit dem Ausbau der Kapazitäten immer dem Bedarf hinterher.

Zudem müssen wir auch die Rohstoffverbräuche miteinbeziehen, z.B. Zement, Eisen, Lithium oder Seltene Erden für Windräder, Solaranlagen und Batteriespeicher. Eine Studie der deutschen Rohstoffagentur verdeutlicht, aus welchen wenigen Ländern die Rohstoffe kommen, die wir für die Energiewende brauchen. Das sind China und wenige andere Länder, die zum Großteil auch keine Demokratien sind. Auch aus diesem Blickwinkel bin ich sehr skeptisch, ob wir es schaffen können, allein mit technischen Lösungen unsere Klimaziele zu erreichen.

Suffizienz – das Gebot der Stunde?

Sie forschen derzeit zu Suffizienz und haben vor kurzem einen Text mit der Überschrift „Das Gebot der Stunde“ mitveröffentlicht – Wie sieht es denn da aus mit der möglichen Umsetzung? Gibt es Vorschläge für entsprechende Gesetze, wie weit ist das von einer Umsetzung entfernt? Ist das nicht etwas, was die Politik von der Bevölkerung fast fern zu halten versucht, denn da geht es dann ja um den „Verzicht“?

Sie haben in unserem Vorgespräch ja beschrieben, wie Sie in Ihrem Ökodorf schon sehr klimaverträglich und trotzdem gut leben (Wohnort des Interviewers, https://siebenlinden.org); man kann also auch mit wenig Energieverbrauch glücklich sein. In der öffentlichen Diskussion wird das von manchen Akteuren jedoch schnell in die Verzichtsecke gestellt – aus meiner Sicht, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen.

Suffizienz ist ein sehr breiter Begriff. Da gibt es systemimmanente Veränderungen, die auch nicht groß wehtun (müssen), wie einen Tag pro Woche nur vegetarisches Essen in der Mensa oder eine Stadtplanung der kurzen Wege, in der mehr (Versorgungs-)Infrastruktur dorthin gebaut wird, wo die Leute wohnen. So was ist ja eigentlich kein Nachteil, sondern vielleicht wird das Viertel dadurch auch attraktiver.

Dann gibt es aber auch Suffizienz-Vorschläge, die sehr transformativ sind, die viel von unseren Produktions- und Konsumgewohnheiten hinterfragen. In Richtung Sharing Economy: Wie viel muss ich selbst besitzen, wie viel kann ich teilen, und wie viel muss/darf die Industrie in der Folge noch herstellen – das wird dann ein sehr großer Bereich, der Deutschland als Industrienation und die ganzen Arbeitsplätze, die damit zusammenhängen, vor deutliche Herausforderungen stellt.

Und dann gibt es ja noch Vorschläge wie das Tempolimit, was nicht nur Suffizienz ist, aber auch Anteile davon hat, weil man evtl. länger braucht. So eine effektive, kostengünstige und Menschenleben schützende Maßnahme ist, wie wir alle wissen, im Moment politisch nicht möglich.

Es ist also eine sehr breite Palette, was man im Bereich Suffizienzpolitik machen kann, und wir haben in unserem Projekt eine Datenbank aufgebaut mit Politikvorschlägen aus der Literatur, um zu zeigen, dass es wirklich viele Vorschläge gibt, wenn man Suffizienz umsetzen will. Wir haben jetzt über 300 Einträge in der Datenbank, um klarzumachen: Suffizienz ist wie Effizienz oder der Ausbau der erneuerbaren Energien einfach ein Politikfeld, dem man sich widmen muss, das man nicht einfach zur Seite stellen und sagen kann „Technologie wird unsere Probleme lösen“. Wir haben vor kurzem zu einigen der Vorschläge schon Umsetzungsbeispiele ergänzt, um zu zeigen: Das sind nicht nur Vorschläge, die nicht klappen, sondern hier und hier und hier wird das schon gemacht, zum Beispiel sog. Kiezblocks oder Superblocks (verkehrsberuhigte Zonen in Berlin bzw. Barcelona). Zudem ergänzen wir laufend Einsparpotenziale zu den Politikvorschlägen bzw. Umsetzungsbeispielen, die wir in der Literatur finden (https://energysufficiency.de/policy-database/).

So hoffen wir einen Beitrag zu leisten, damit Suffizienz mehr in die Debatte kommt. Es gibt allerdings noch ein Problem: In den Parteien und vielen relevanten Organisationen, Behörden oder Verwaltungen gibt es keine Ansprechpersonen für das Thema (zumindest konnte uns bei den großen Parteien aller Couleurs noch niemand genannt werden). Es ist also niemand dafür zuständig, daher kann sich auch niemand um die politische Gestaltung kümmern.

Und noch etwas Grundsätzliches zur politischen Gestaltung, was ich sehr ernüchternd finde: In der Theorie ist Suffizienz die naheliegende Option. Zum Beispiel in der Verkehrspolitik, so habe ich es schon als Studentin gelernt: Vermeiden, verlagern, verbessern (engl.: avoid, shift, improve). Also eigentlich gibt es eine klare Kaskade der Sinnhaftigkeit, wie man Politik aufbaut. Aber wenn man sich die aktuellen politischen Maßnahmen anschaut, dann gehen sie leider nicht in diese Richtung.

Ist Suffizienz nicht eigentlich ein Wort, das einfach ein „weniger“ meint, ein bescheideneres Leben – und bei dem schon klar ist, dass die verschiedenen Parteien einfach mehr oder weniger für diese Herangehensweise offen sind? Dass es also weniger eine Frage der Ansprechpartner ist als eine Frage des Parteiprogramms?

Na, sie könnten ja auch sagen: „Das ist unsere Ansprechperson für Energiesparen, denn damit sparen wir Kosten und vermeiden den Einsatz von Risikotechnologien“, das ist vielleicht anschlussfähiger und wäre ja auch schon ok. Aber es ist eben ein ziemliches Querschnittsthema und wenn man es zu Ende denkt wahnsinnig groß: Wie erwähnt, geht es ja auch ums Ressourcen sparen, zudem hängt auch der Erhalt der biologischen Vielfalt mit unserem Konsum zusammen. Hinzu kommt, dass wenn man Suffizienz global denkt, es gar nicht mehr nur um eine Reduktion, sondern eigentlich um einen Konsumkorridor geht, der auch eine Untergrenze hat (Link zu einer Studie dazu, englischsprachig). Das bedeutet, dass man zu Menschen, die zum Beispiel im globalen Süden leben, sagen kann: „Es ist ok, wenn ihr erst mal mehr Energie verbraucht, um eure (Grund-)bedürfnisse zu decken bzw. ein menschenwürdiges Leben zu leben“. Und ja, um auf die Frage zurückzukommen, sicherlich sind manche Parteien mehr an diesen Fragen dran als andere.

Ich finde diese beiden Pole des Konsumkorridors übrigens sehr gut, weil sie in der Diskussion, zum Beispiel in Deutschland, zeigen: Problematisch sind vor allem die großen Fußabdrücke. Also nicht die Menschen, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens im Durchschnitt eh schon einen niedrigen Fußabdruck haben – das ist gar nicht unser Problem. Ich glaube, das ist in der Kommunikation auch ganz wichtig, dass man nicht alles über einen Kamm schert und sagt „Suffizient bedeutet ‚Verzicht‘ oder ‚weniger‘“. Ganz aktuell wurde eine Studie veröffentlicht, die durchgerechnet hat, wie wir in Europa zu Klimaneutralität kommen. Und die nutzt ganz stark den Ansatz der Konvergenz: Dass die Länder in Europa, die zum Beispiel schon eine ganz hohe Wohnfläche haben, konvergieren mit Ländern, in denen viele Menschen auf engem Raum wohnen. Und das macht deutlich, dass nicht das Problem die Wohnfläche per se ist, sondern das Level an Wohnfläche, das in manchen Ländern sinken muss, aber in anderen vielleicht noch ansteigen darf. Meiner Meinung nach kann dieser Ansatz schon von vornherein das Potenzial der sozialen Spaltung, diese Sprengkraft entschärfen, die in einem „wir brauchen von allem weniger“ liegt. Das Problematische sind eben die Vielverbraucher.

Was kommt wie an?

Brauchen wir nicht ganz dringend Bilder und Geschichten von der gewandelten, nachhaltigen Gesellschaft – damit wir da auch hinwollen?

Ich glaube schon, und aus diesem Grund haben wir das eingangs erwähnte Projekt „Klimaverträglich leben im Jahr 2050“ gemacht. Ich denke, dass die Politik mit der Gesellschaft über Fragen wie die Notwendigkeit der Erreichbarkeit der Klima- und der Biodiversitätsziele („Warum brauchen wir das? Was hat das mit mir zu tun?“) in einen offeneren und ehrlicheren Austausch treten sollte, um das verständlicher zu machen und da sind bestimmt auch künstlerische Formen hilfreich (das ist ja dann auch so ein bisschen Ihre Idee der „Klimawandelberatung“).

Beim Heizungstausch ist doch zum Beispiel die Frage: Schützt nicht eine harte Regulierung die Menschen vor finanziellen Fehlinvestitionen, die letztlich (in Bezug auf die Gesamtkosten über die Lebensdauer) viel teurer werden – ist dieser aktuelle Aufschrei dann nicht eigentlich kontraproduktiv für die Bevölkerung? Für solche Zusammenhänge sachlich und unaufgeregt Verständnis zu schaffen, oder sich das gemeinsam zu erarbeiten, ist aus meiner Sicht sehr wichtig. Ein entscheidender Punkt dabei ist, denke ich, Vertrauen. Bei der Energiepreiskrise vor einem Jahr hatte ich überlegt, dass man eigentlich viele Nachbarschaftslernprozesse anstoßen müsste, z.B. könnten ältere Menschen, die da vielleicht nicht so viel Ahnung haben, doch mit anderen Menschen sprechen, die vielleicht ihr Haus gedämmt haben. Oder die vielleicht eine andere Heizung eingebaut haben oder ein Balkonkraftwerk betreiben. Dieser Austausch, so ein Peer-Learning mit Leuten, zu denen man wahrscheinlich mehr Vertrauen hat als zu Politik und Wissenschaft; sich dafür vielleicht mal Zeit zu nehmen, wäre doch eine gute Sache.

Jetzt gibt es ja auch die Frage, wie viel diese politischen Notwendigkeiten eigentlich mit unserem Wirtschaftssystem zu tun haben. Da habe ich von Felix Ekardt die Aussage gefunden: „Neben grüner Technik gehört zum Umweltschutz nach dem Paris-Abkommen (…)  auch ein genügsamerer Lebensstil. Allerdings wird dann auch weniger verkauft werden. (…) Das große Problem aber ist: Bislang hängen vom Wachstum zentrale gesellschaftliche Institutionen ab, etwa der Arbeitsmarkt, das Rentensystem, die Banken und das System der Staatsverschuldung.“
Traut sich an diese Fragen denn schon jemand ran?

Wir haben das auf jeden Fall als großen Forschungsbedarf identifiziert, denn so wirklich viel Literatur gibt es dazu nicht. Diese Fragen nach Post-Wachstum und Wachstumsunabhängigkeit, werden, glaube ich, bislang nur in Nischen diskutiert. Auch im Wirtschaftsstudium spielen solche Fragen nur in sehr ausgewählten Studiengängen eine Rolle, obwohl das ja eigentlich die zukunftsfähigen Fragen sind. Ich glaube, es ist sehr blauäugig, sich dem Thema nicht zu widmen. Denn wir sehen ja aktuell, dass das Wirtschaftswachstum von vielen externen Faktoren abhängt, die wir überhaupt nicht beeinflussen können, wie von Kriegen, Pandemien oder Lieferengpässen. Darum wäre es aus meiner Sicht auch ökonomisch sinnvoll, sich mit dem Thema „Entkopplung unserer Sozialsysteme vom Wachstum“ Gedanken zu machen. Aber ob das im Wirtschaftsministerium ernsthaft angegangen wird? Ich weiß es nicht.

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